Überfälle in Leipzig und Wurzen: Sachsen-Anhalterin wegen linksextremer Gewalt angeklagt

2019 wurde die Prokuristin einer Immobilienfirma misshandelt, 2018 ein Rechtsextremist. Die sächsische Justiz erhebt nun Anklage. Die Spur führt nach Magdeburg.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat eine Magdeburgerin wegen Beihilfe zu zwei Gewaltverbrechen mutmaßlich linksextremer Täter angeklagt. Die 53-Jährige soll in einer Behördendatenbank die Adressen der Opfer ausgespäht und an die linke Szene weitergegeben haben. Bis heute unbekannte Täter hatten im November 2019 in Leipzig die Prokuristin einer Leipziger Immobilienfirma in ihrer Wohnung überfallen und misshandelt. Ein Rechtsextremist war bereits im Oktober 2018 auf der Straße angegriffen und verletzt worden.

Anklage wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung gegen Frau aus Magdeburg

In ihrer Anklageschrift wirft die Generalstaatsanwaltschaft der Magdeburgerin Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen sowie zu Hausfriedensbruch in einem Fall vor. Im Fall einer Verurteilung drohen maximal mehrere Jahre Haft.

„Die Anklage ist bei uns am 13. März eingegangen und der Angeklagten zugestellt worden“, sagte Claudia Webers vom Amtsgericht Leipzig. Die Betroffene habe drei Wochen Zeit für eine Stellungnahme. Anschließend entscheidet das Gericht über die Zulassung der Anklage.
„Kiezmiliz“ bekennt sich zu Überfall auf Immobilien-Managerin in Leipzig

Vor allem der Überfall auf die Leipziger Immobilien-Managerin Claudia P. am 3. November 2019 sorgte auch überregional für Aufsehen. Vermummte hatten an der Wohnungstür geklingelt, die überraschte Frau in die Wohnung gedrängt und ihr dort mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen. In einem Bekennerschreiben bezichtigte sich eine „Kiezmiliz“ der Tat und bezeichnete diese als Widerstand gegen einen Neubau im Leipziger Stadtteil Connewitz, den die Firma der Frau verantwortete.

Die Täter sind bis heute ebenso wenig gefasst wie jene, die am 30. Oktober 2018 in Wurzen (Landkreis Leipzig) den Rechtsextremisten Cedric S. attackierten. Der damals 20-Jährige wurde zu Boden gerissen, gewürgt, getreten, mit Schlagstöcken verprügelt und als „Nazischwein“ beschimpft. Wegen Beihilfe zu dieser Tat war bereits die in Halle studierende mutmaßliche Linksextremistin Lina E. aus Leipzig angeklagt, sie wurde allerdings freigesprochen.

Angeklagte hatte in der Uniklinik Zugang zur Adressdatenbank

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden ist überzeugt, dass die Magdeburgerin die beiden Überfälle erst möglich gemacht hat. Als Buchhalterin der Magdeburger Uniklinik war sie für das Eintreiben von Geldforderungen zuständig. Dafür hatte sie einen offenbar unkontrollierten Zugang zu einer bundesweiten Behördendatenbank mit Meldeadressen.

Nach MZ-Informationen wollen die Dresdner Ermittler nachweisen, dass die Angeklagte am 28. August 2019 die Adresse der Leipziger Bau-Prokuristin und am 13. September 2018 die Adresse des Wurzener Rechtsextremisten abgerufen hat. In beiden Fällen habe sie die Daten weitergereicht. Ihr sei bewusst gewesen, dass sie damit das Aufsuchen der Opfer ermöglichte, glaubt die Generalstaatsanwaltschaft. Die körperlichen Attacken habe sie zumindest billigend in Kauf genommen.

Ermittler finden Excel-Tabelle mit Adressen von Ausgespähten

Insgesamt soll die Angeklagte 2019 und 2020 insgesamt 170 Wohnadressen abgeschöpft und über den Messengerdienst Signal an linke Aktivisten weitergereicht haben. Nach MZ-Informationen haben die Ermittler bei ihren Durchsuchungen eine Excel-Tabelle gefunden, in der die Abfragen dokumentiert waren. Dort soll sich auch der Name des überfallenen Rechtsextremisten finden.

Die Angeklagte und ihre Verteidiger äußern sich nicht zu den Vorwürfen. Für die nicht vorbestrafte Frau gilt die Unschuldsvermutung. Für eine Verurteilung wegen Beihilfe müsste das Gericht zum Schluss kommen, dass die Angeklagte vorsätzlich handelte, dass sie also ganz bewusst Straftaten unterstützen wollte. Zudem müsste ausgeschlossen sein, dass die Gewalttäter die Adressen auf anderem Weg hätten beschaffen können.


Kommentar zu linksextremen ÜberfällenSchnelle Aufklärung ist nicht zu erwarten – leider

In zwei Fällen vermutlich linksextremer Gewalt gibt es jetzt eine Anklage. Viele Fragen sind allerdings noch offen.

Hagen Eichler 24.03.2024

Fast genau vier Jahre lang hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen eine Frau aus Magdeburg ermittelt. Jetzt, nach dieser ungewöhnlich langen Zeit, ist die Behörde sicher, dass sie die Beteiligung der Frau an zwei aufsehenerregenden Gewalttaten vor Gericht beweisen kann.

Es geht um mutmaßlich politisch motivierte Überfälle in und nahe Leipzig, ermöglicht durch den dienstlichen Zugang der Angeklagten zu Meldedaten. Sollte sich der Vorwurf bestätigen, wäre das ein ungeheuerlicher Vorgang. Die Öffentlichkeit hat ein großes Interesse daran, dass sämtliche Hintergründe auf den Tisch kommen.

Die eigentlichen Täter werden noch gesucht

Bedauerlicherweise sind die eigentlichen Täter bis heute nicht ermittelt – jene maskierten Unbekannten, die in Überzahl und mit dem Überraschungsmoment auf ihrer Seite auf Menschen einprügelten und diese schwer verletzten. Offenkundig geht es um politisch motivierte Gewalt, mutmaßlich aus der linken Szene. Die jetzt Angeklagte wurde vom sachsen-anhaltischen Verfassungsschutz als Linksextremistin eingestuft.

Aber: Ohne die Schläger zu kennen, dürfte es nicht leicht werden, zwischen der Datenabfrage in einem Behördencomputer und der rohen Gewalt eine direkte Verbindung nachzuweisen. Mehr noch: Für eine Verurteilung ist Vorsatz nötig. Es muss also zweifelsfrei feststehen, dass die Angeklagte im Moment der Datenweitergabe Straftaten erwartet hat und genau diese unterstützen wollte. Ob das so war, ist offen.

Den Autor erreichen Sie unter: hagen.eichler@mz.de

Ärgerlich ist, dass ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen die frühere Uniklinik-Mitarbeiterin noch immer nicht abgeschlossen ist. Dabei geht es um die Datenschutzverstöße – zuständig ist die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, doch die Behörde ist unterbesetzt und seit Jahren ohne Führung. Schnelle Aufklärung ist also leider nicht zu erwarten.